Ins Schreiben kommen

 

 

 

 

Du kennst das?

Fragen, die dich quälen.

Die sich wie zäher Schleim durch deine Gehirngänge ziehen - und immer wieder an den verschiedenen Kurven und Schleifen hängen bleiben, und schließlich, gut eingedickt, zum Stillstand kommen.

 

Die Fragen, um die es in diesem Artikel geht, lauten:  

W I E   komme ich ins   S C H R E I B E N ?

Und   W A S   bitte, soll ich  S C H R E I B E N ?

Und da wir gerade beim Thema sind, meldet sich auch noch eine Stimme zu Wort, die meint:

"Ich   K A N N   ja gar nicht   S C H R E I B E N."

 

Es ist tatsächlich so: Es gibt unendlich viel Material, worüber du schreiben kannst - allein das führt einen ja manchmal zur schieren Verzweiflung. So, wie es unendlich viele Filme und Bücher gibt, die jedes Mal die Geschichten von Liebe und Tod und Glück und anderem neu erzählen. Viele schaffen das so wunderbar, dass du am liebsten in den Film hineinkriechen - oder zwischen den Buchdeckeln verschwinden möchtest. Und gleichzeitig denkst du: "Das kann ich nie."  


Fallen dir spontan Titel ein? Was macht ein gutes Buch für dich aus? Welche Filme liebst du? Worüber würdest du gern schreiben?  Was hast du noch nie jemandem erzählt? Mache dir dazu Notizen, oder besser, schreib einfach drauf los.

 

Ertappt: meine Gedanken haben gerade eine kleine Abzweigung genommen und sich dem Thema zugewandt: "Wie erzähle ich eine gute Geschichte?" Mehr dazu aber an anderer Stelle.

Zurück zum Anfang: "Wie komme ich bloß ins Schreiben?"


Die Antwort ist wohltuend einfach: Ganz allmählich. Zeit braucht man. Einen Schuss Muße. Und Vertrauen. Vertrauen in sich und Vertrauen darauf, dass geschrieben wird, was geschrieben werden möchte. Man darf Schreiben als wunderbare Beschäftigung mit den eigenen Gedanken sehen, als Luxus, mit dem man sich selbst beschenkt. Und den inneren Stimmen, die dabei oft etwas zu meckern haben, sei an dieser Stelle eine Auszeit gegönnt.

 

Ja, fang an. Und zwar zügig, sodass hinderliche Gedanken keine Chance haben, zu zähem Schleim zu mutieren, der dich ins Stocken bringen könnte.


Nimm dein Blatt Papier, greife nach einem Buch oder einer Zeitschrift in deiner Nähe, wähle einen beliebigen Satz aus (kürze ihn gegebenenfalls) - ohne viel nachzudenken. Schreib den Satz auf dein Blatt und schlag das Buch zu. Nun schreib einen Satz, der davor und einen Satz, der danach kommt. Schon hast du eine Mini-Szene, die dich vielleicht zum Weiterarbeiten reizt. Wenn du magst, kannst du das Spiel mehrere Male wiederholen und dann kannst du die einzelnen Szenen vielleicht miteinander verknüpfen.

 

 

Ach ja, da wäre die Idee des begnadeten Dichters. Sie spukt dir im Kopf herum. Oder vom Lehrer, der dir damals gesagt hat, dass du nicht schreiben kannst. Genau. Schon wieder. SCHLEIM. Und ja, es gibt Talente. Manche machen was aus ihrer Begabung, andere lassen sie verkümmern. Aber wie formulierte es mein Lehrer an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin einmal: "Das Talent sitzt im Ar..." (und damit meinte er das Sitzfleisch, das Schreiben braucht). 

Die Ergebnisse der Kreativitätsforschungen belegen, dass der kreative Prozess verschiedene Phasen durchläuft, in der der Ideenkeim seine Zeit zum Reifen braucht, so wie ein guter französischer Käse, um sich dann zu entfalten (wo wir wieder beim Sitzfleisch landen) -

Und vor allem: ja, man kann schreiben lernen. Man kann - ganz allmählich - zu seiner inneren Stimme finden. Man kann - ganz allmählich - anfangen, Wortspiele zu lieben, oder - immer intensiver - sich dabei ertappen, Vergleiche zu finden, so treffsicher wie die Krallen des Wanderfalken, die im Flug ihre Beute schlagen. Man kann... Ja, Du kannst!

 

Was ist schreiben für dich? Welcher Vergleich fällt dir ein? Such dir drei oder fünf Dinge und versuche, dafür ungewöhnliche, witzige, traurige... Vergleiche zu finden. Schreib sie auf.

Ich selbst habe viele verschiedene Schreibbücher. Ich liebe ihre Haptik, ihre Optik. Ich liebe zu Beginn, dass sie so vielversprechend leer sind. Diese Leere, die von einem Anfang erzählt. Um sich dann doch allmählich mit den verschiedensten Texten zu füllen, die - vielleicht - zu einem Buch verwertet werden können - wenn die Zeit dazu ist. Ich blättere mein aktuelles, in rotes Leder gehülltes durch und finde...

Texte über Marketingstrategien. Stoße auf ein geschenktes Gedicht, das von dem Versuch, Bullet Journaling zu betreiben, abgelöst wird, um in Skizzen und Haikus zu münden. Lese meine Betrachtungen über die herbstliche Färbung der Blätter in meinem Garten. Schmökere in meinen Gedanken und Erinnerungen, die von der Tinte eingefangen worden sind. Mein Schreibbuch ist mein Refugium. Hier kann alles und nichts muss entstehen. Schließlich liebe ich es für seinen Inhalt, es ist ein festgehaltener Teil von mir geworden.

 

Hast du ein Schreibbuch? Vielleicht gehst du heute in das Papierfachgeschäft deiner Wahl und suchst nach einem wunderschönen für DICH. Ein Trick fürs Anfangen: manchmal tut es gut, die erste Seite einfach frei zu lassen oder eine Postkarte reinzukleben oder ein Gedicht, einen Spruch auf die erste Seite zu schreiben.

Ich habe es schätzen gelernt, mir eine fixe Schreibzeit zu gönnen/zu planen/einzuhalten/

Mit wechselhafte Perspektiven. An manchen Tagen quäle ich mich - da mutieren meine Gedanken dann zu eben diesem Schneckenschleim, der träge und zäh dahinfließt und vor sich hin stockt. Ich schreibe trotzdem: Dass ich gerade nicht weiß, was und sich alles vermischt, weil so Vieles auf der Welt geschieht und wichtig und schrecklich ist und geschrieben werden soll, ich aber gerade nicht weiß, wie und wo anfangen.

An solchen Tagen suche einen kleinen Zeitungsartikel, zerschnipsle ihn und setze die Wörter neu zu einem Gedicht oder einem Text zusammen.

 

Dann sind da Tage, an denen ich mich innig auf meine Zeit für mich freue, an denen Erlebtes, Gefühltes, Gedachtes dann nur so aus der Feder fließen.

Da gilt einfach, nutze den Flow, schreib, schreib, schreib!

 

Dann sind da Träume, die aufgeschrieben werden wollen, wie zuletzt der, in dem ich nachts im Dschungel unterwegs war. Welche Geräusche ich gehört habe, welche Schatten da waren, was mich geängstigt hat.

Schreib einen Traum auf, der dir in Erinnerung ist.

 

Manchmal suche ich mir einen Ort, an dem ich noch nie war, setze mich hin, zücke Buch und Feder und schreibe auf, was ich sehe, höre, rieche. Zu beobachten schärft sanft deine Sinne. Heuer im Sommer entdeckte ich den Platz hinterm Dom zu ersten Mal für mich. Ich spürte die warme Abendluft, wie sie von den aufgeheizten Steinen des Platzes aufstieg, hörte das Gemurmel der beiden Frauen hinter dem dichten Lorbeerbusch, betrachtete das schiefwinkelige Dach mit den alten Dachziegeln, rostrot, braun, moosgrün. Und dachte an ein Zeitfenster, und wie es sich so langsam schließt.

Such dir einen möglichst unbekannten Ort und schreibe auf, das du wahrnimmst, aber schreib auch die Assoziationen auf, die dir dabei in den Kopf kommen.

 

Und dann sind da die Experimente, denen ich mich mit Spannung stelle: Was hat es bloß mit diesem Schneckenschleim auf sich? Was hat der in meinem Leben zu suchen? Wie fühlt er sich an? Wabernd, zäh, dickflüssig... Dann stelle ich mir die Frage: Wo begegne ich diesem Gefühl in meinem Leben? Und dann: Hey, was ist das Gegenteil von Schneckenschleim? Ist es Wasser, ein Fluss, das Meer? Wie fühlt sich dieses Gegenteil an? Leicht, frei, fließend, klar, hell... Und wo erlebe ich diese Gefühle? Was bringt mir Leichtigkeit, was bringt mich in den Fluss? Und schon habe ich etwas über mich erfahren (Anmerkung: das wichtige Nebenprodukt von Schneckenschleim ist immer eine wertvolle Erkenntnis).

Welches Wort fällt dir spontan ein (außer Schneckenschleim)? Suche 10 Synonyme dafür. Und dann nimm eines dieser Wörter und lass dich in einem Text in dessen Welt entführen.

 

Noch ein Wort zu den inneren kritischen Stimmen, die einen ja oft erfolgreich davon abhalten, etwas zu schreiben. Übrigens, am besten gehst du spielerisch mit deinen inneren Quälgeistern um: gib ihnen einmal eine echte Stimme.

 

Schreib auf, was sie zu sagen haben. Jeden Satz in eine Zeile. Lass ruhig  auch mal die Sau raus, so wie sie dich oft in der Mangel haben. Und dann? Charakterisiere die Stimmen als Figuren - gib ihnen einen Namen, sind sie groß oder klein, behaart, dick, dünn? Gestalte mit den aufgeschriebenen Sätzen einen Dialog zwischen diesen Figuren. Sind sie ein Liebespaar, das sich streitet? Sind es zwei Unbekannte, die sich über die Corona-Maßnahmen unterhalten? Oder - ach, schon wieder tut sich eine schier unmögliche Vielfalt von Möglichkeiten auf.

Ich sag's einfach so: Hab Spaß am Schreiben! Und tu es einfach.

 

Ich freu mich über Kommentare, Anregungen, Fragen und besonders, wenn du in eine meiner Schreibwerstätten kommst. Denn gemeinsames Schreiben und Lesen sind sowieso beinahe das Schönste!

 

Herzliche Grüße

Astis

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